Komplexitätsspirale oder Komplexitätsfalle?

Unsere Branche der Automobilindustrie sowie die Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen: die stetige Zunahme von Komplexität. Unter den Stichwort „Big-Data“ wird der immense Anfall von Daten – meist digital erfasst – als eine große Herausforderung schon vielfach beschrieben. Aus meiner Sicht ein Teilaspekt der Komplexität, der an vielen Stellen schon ins Bewusstsein gerückt ist. Ein Indiz für die Zunahme der Komplexität ist meines Erachtens beispielsweise die höhere Anzahl von Rückrufen in unserer Industrie. Die Ursache dafür alleine in abnehmender Qualität oder Sorgsamkeit zu sehen wäre zu einfach. Gerade moderne Methoden der Qualitätssicherung und die verbesserte Überwachung und Dokumentation der Fertigungsabläufe führen zu frühzeitiger Identifikation von Mängeln.

Die zunehmende Komplexität der Produkte und Fertigungsverfahren liefert sicherlich einen signifikanten Beitrag dazu. Einen wesentlichen Beitrag zur Zunahme der Komplexität sind sicherlich die zusätzlichen Sicherheits- und Komfortfunktionen, die in unsere Fahrzeuge vorgedrungen sind und die wir als Nutzer nicht mehr missen wollen. Auch Systeme zur Steigerung von Effizienz und Reduktion von Emissionen mehren die Komplexität in unseren Fahrzeugen. Wie lautet doch der alte Spruch: „Was nicht verbaut ist, kann auch nicht kaputt gehen.“ Am Bespiel der Sonderausstattung elektrischer Fensterheber gab es schon vor etlichen Jahren eine Diskussion. Aber sind diese elektrischen Fensterheber inzwischen nicht Standard? Einfache Systeme wie zum Beispiel Handschaltgetriebe verlieren stetig Marktanteile.

Elektronische Steuerungen und Steuergeräte führten zur Verdrängung von rein mechanischen, pneumatischen oder hydraulischen Steuerungssystemen. Sie ermöglichen unter anderem zusätzliche Funktionen, höheren Komfort, bessere Kosten-Nutzen-Relation usw. Auch der große Aufwand in der Entwicklung pneumatischer und hydraulischer Komponenten konnte reduziert werden. Allerdings sind mit Mechatronik, Elektronik, Software und Kalibration neue Disziplinen in der Entwicklung hinzugekommen, die die Komplexität signifikant erhöht haben, eine wohl eher exponentielle Zunahme der Aufgaben in Summe.

Und der zunehmenden Komplexität nun Herr zu werden, wurden neue Funktionen, Methoden und Disziplinen (Projektmanagement, System Engineering, etc.) eingeführt und die Schnittstellen zwischen diesen mussten definiert und dokumentiert werden. Nun ist die Abgrenzung und Zuordnung zu den einzelnen Fachbereichen und Expertisen ein weiterer Aufgabenbereich und Beitrag zur Komplexität, die zu komplexeren Prozessen, insbesondere Produktentstehungsprozessen führt. Also darf sehr wohl von einer Komplexitätsspirale gesprochen werden.

Überlagert man nun diese Komplexitätsspirale mit der Verbreiterung der Produktportfolien der Hersteller und der Diversifikation in den Antriebsarten, so kann man schon von einer Komplexitätsfalle sprechen. Die Konsolidierung hin zu größeren Konzernen durch Fusionen und der Einsatz von intelligenten Plattformen ist sicherlich eine sinnvolle Konsequenz dieser Komplexitätsspirale, die Einmalkosten werden auch möglichst viele Marken und Fahrzeugarten verteilt. Mit der zunehmenden Komplexität in den entstandenen, großen Unternehmen ist die Komplexitätsfalle letztlich am Zuschnappen.

Burkhard Pollak, Januar 2021

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